Geschichte Altrusslands

Kindheitserinnerungen aus Altrussland

Auszüge aus: O. E. Košeleva: «Svoe detstvo» v drevnej Rusi i v Rossii v ėpochi prosveščenija (XVI-XVIII vv.) Učebnoe posobie po pedagogičeskoj antropologii i istorii detstva [«Die eigene Kindheit» in Altrussland und im Russland der Epoche der Aufklärung (16.-18. Jh.) Lehrhilfsmittel zur pädagogischen Anthropologie und zur Geschichte der Kindheit], Moskva: Izdatel'stvo URAO 2000.

Die Übersetzungen wurden im Rahmen eines Lektürekurses „Kindheit in Altrussland“ im Sommersemester 2001 von den Studierenden Natallia Charnichenka, Markus Deutsch, Anja Franke, Irina Jahn und Stefan Schnell gemeinsam mit Prof. Steindorff angefertigt.

Unter folgendem Link findet sich die Textdatei "Kindheit in Altrussland".

Die Erzählung vom Tod des Pafnutij Borovskij

übersetzt aus dem Altrussischen von Ludwig Steindorff

unter Mitarbeit von Natallia Charnichenka, Doris Dold, Anja Franke, Dennis Hormuth und Irina Jahn

Kurz nachdem Pafnutij Borovskij, der Gründer und erste Igumen des Klosters des Entschlafens der Gottesmutter bei Borovsk, am 1. Mai 1477 gestorben war, beschrieb sein Schüler Innokentij in allen Einzelheiten die letzte Lebenswoche seines geistlichen Vaters. Geprägt ist die Zeit von der Spannung zwischen den Anliegen Pafnutijs und der Erwartungshaltung der Öffentlichkeit außerhalb des Klosters. Von der Teilhabe am Gottesdienst abgesehen, möchte sich Pafnutij in seiner Todesahnung in die Stille zurückziehen. Demgegenüber möchte die Öffentlichkeit nicht auf die Prestigeträchtigkeit und Heilswirksamkeit der letzten Begegnung mit dem als geistliches Vorbild, Berater und Schiedsrichter akzeptierten Igumen verzichten. Als Maß der Zeit während der geschilderten Woche dienen die Gottesdienst-Stationen im liturgischen Tages- und Wochenkreis.  Die Handlungen aller Beteiligten ergeben sich aus einem weitgehend stabilen Rahmen von Verhaltensnormen und religiösen Vorstellungen.

Der Text entfernt sich in seinem Realismus weit von den Mustern hagiographischen Schreibens. Er erweist sich als aussagestarke Quelle zum Alltag einer klösterlichen Gemeinschaft im Moskauer Russland, zum damaligen Verhältnis zwischen Kloster und „Welt“, zur Einstellung gegenüber dem Tod.

Vorbemerkungen:

  • Die Übersetzung ist aus einem von Prof. Dr. Ludwig Steindorff geleiteten Lektürekurs im Wintersemester 2001/2002 an der Abteilung für Osteuropäische Geschichte des Historischen Seminars der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hervorgegangen.
  • An der Übersetzung haben mitgearbeitet: Natallia Charnichenka, Doris Dold und Irina Jahn; Anja Franke hat Redaktionsarbeiten durchgeführt; Dennis Hormuth hat die Regesten erstellt.
  • Für Hilfe bei der Identifikation von Zitaten danken wir Prof. Dr. Christian Hannick (Würzburg) und A. I. Alekseev, Kandidat der historischen Wissenschaften (St. Petersburg).
  • Bei Zitaten und Verweisen auf die Übersetzung bitte Verwendung des Titels am Beginn der Seite und Angabe der Internet-Adresse.

Unter folgendem Link findet sich die Textdatei über die Erzählung vom Tod des Pafnutij Borovskij

Die Viten der Heiligen Savvatij und Zosima

übersetzt aus dem Altrussischen und erläutert von Ludwig Steindorff

unter Mitarbeit von Anja Franke, Ewa Hajdas, Dennis Hormuth, Jan Kirchhoff, Tatjana Lang, Christina Siegfried und Evgenija Titova

Einleitung: Zur Geschichte des Klosters

Eines der geschichtlich bedeutsamsten Klöster Russlands ist das Kloster der Verklärung Christi auf der Insel Solovki im Weißmeer. Es gehört in die lange Reihe der geistlichen und kulturellen Zentren, die aus der Klosterkolonisation des Moskauer Russland hervorgegangen sind. Eingeleitet wurde der Kolonisationsprozess mit der Gründung des Troica-Sergij-Klosters ca. 100 km nördlich von Moskau durch Sergij von Radonež bald nach 1340. Der Wanderungsprozess nach Norden spiegelt sich in den Gründungsdaten wider; 1396 entstand das Kirill-Kloster südöstlich vom Beloozero; das Kloster auf Solovki wurde 1436 begründet.

Bis ins 16. Jahrhundert baulich recht bescheiden und auch nicht annähernd so wohlhabend wie andere Gemeinschaften, erlebte das Kloster unter dem Igumen Filipp Kolyčev (1546-66) seinen großen Aufstieg und wurde als Empfänger von bedeutsamen Stiftungen attraktiv. Die heutige Anlage erhielt ihre Gestalt weitgehend in der Zeit von der Mitte des 16. bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts; dazu gehören auch die gewaltigen Feldsteinmauern, die das Kloster von außen eher wie eine Burganlage erscheinen lassen. Da die Mönche auf Solovki sich weigerten, die vom Zaren und der Synode 1667 beschlossenen Reformen im Ritus und die überarbeiteten liturgischen Bücher zu akzeptieren, begannen Truppen des Zaren 1668 die Belagerung. Erst nach acht Jahren gelang ihnen mit List oder dank Verrat die Einnahme des Klosters. Das Kloster wurde 1854 zu einem Nebenschauplatz des Krimkrieges; den Beschuss durch britische Schiffe überstand es ohne Schäden.

In der frühen Sowjetzeit entwickelten sich das Kloster und der ganze Archipelag um Solovki zu einem Ort des Schreckens. Hier bestand von 1923 bis 1937 SLON, in der Abkürzung harmlos „Elefant“ bedeutend. Doch dahinter verbarg sich Soloveckie lagerja osobogo naznačenija, die „Solovki-Lager zu Sonderzwecken“, der erste große Lagerkomplex des Sowjetstaates. Von 1937 bis zu ihrer Auflösung 1939 wegen der Nähe zur Front im Winterkrieg mit Finnland nannte sich die Einrichtung offiziell tjurma, „Gefängnis“.

Nachdem die Klosteranlage von 1942-44 als Kadettenschule der Nordmeerflotte und danach bis in die fünfziger Jahre als Marinekaserne gedient hatte, wurde sie 1974 zum Museum erklärt, und die Insel wurde in Ansätzen touristisch erschlossen. Seit einigen Jahren leben in einem Flügel des Klosters wieder Mönche.

Von den Anfängen des Klosters auf Solovki wissen wir aus den in allen Redaktionen gemeinsam überlieferten Viten der Klostergründer Savvatij und Zosima: Savvatij hielt sich wahrscheinlich ab 1429 (zum Datum vgl. Anm. 24 in der Übersetzung) für einige Zeit als Einsiedler auf der Insel auf, starb allerdings auf dem Festland am 27. September 1435. Ungefähr ein Jahr nach dessen Tod kam Zosima 1436 auf die Insel und begründete eine Mönchsgemeinschaft, er ließ die Gebeine von Savvatij 1471 auf die Insel überführen. Der Text der Viten lässt nicht nur die Ideale und Anfechtungen des Mönchtums anschaulich werden; er bietet auch ein Panorama der Landschaft des Nordens.

Wir legen nun erstmals eine deutsche Übersetzung der Viten von Savvatij und Zosima vor, und zwar in der dritten Variante der kürzeren Redaktion, die sich unter Auslassung der posthumen Wunder auf das Leben der Heiligen beschränkt. Diese Variante ist Mitte des 16. Jahrhunderts entstanden und in der Handschriftentradition am weitesten verbreitet, vgl.Mineeva, S. V. : Rukopisnaja tradicija žitija prep. Zosimy i Savvatija Sloveckich (XIV–XVIII vv.), Bd. 1, Moskva 2002, S. 228-233.

Die Übersetzung folgt der Textausgabe von Mineeva, S. V.: Rukopisnaja tradicija, Bd. 2, Moskva 2002, S. 345-352, 353-372 (10. III Kratkaja redakcija).

Die Übersetzung des Vita des hl. Savvatij ist im Rahmen eines von Ludwig Steindorff geleiteten Lektürekurses im WS 2002/03 an der Abteilung für Osteuropäische Geschichte am Historischen Seminar der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel entstanden; an Übersetzung und Redaktion haben mitgewirkt: Anja Franke, Ewa Hajdas, Dennis Hormuth, Jan Kirchhoff, Evgenija Titova. Die Übersetzung des Vita des hl. Savvatij ist aus Lektürekursen im WS 2005/06 und im WS 2006/07 hervorgegangen; mitgearbeitet haben hier Tatjana Lang, Christina Siegfried und Evgenija Titova. – Auf der Ende Juli / Anfang 2003 durchgeführten Exkursion der Abteilung für Osteuropäische Geschichte nach Nordrussland gelangten wir auch nach Solovki. In den Erläuterungen der örtlichen Führer erkannte man immer wieder den Rückgriff auf Informationen aus der hier übersetzten Vita. Die der Übersetzung beigefügten Fotos entstanden auf der Exkursion.

Literatur

  • Robson, Roy R.: Solovki. The Story of Russia Told Through its Most Remarkable Islands, New Haven/London 2004.
  • Spock, Jennifer B.: The Solovky Monastery 1460-1645. Piety and Patronage in the Early Modern Russian North, Ann Arbor 1999.
  • Bušuev, S.: Spaso-Preobraženskij Soloveckij mužskoj monastyr, in: Russkie monastyri, Bd. 2, Moskva 1995, S. 543-579.
 
Unter folgendem Link findet sich die Übersetzung von den "Viten der Heiligen Savvatij und Zosima".

Stiftung und Totengedenken

Übersetzt und kommentiert von Ludwig Steindorff unter Mitarbeit von Studierenden der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Stiftung und darauf begründetes liturgisches Totengedenken bildeten im Moskauer Russland ein bedeutsames Element sozialer Praxis innerhalb der Elite. Ihnen kam eine wichtige Rolle bei der Integration des Reiches zu. Bezogen auf die religiöse Begründung, bestehen genetische Gemeinsamkeiten mit der Blüte der von Stiftungen getragenen klösterlichen Kommemoration im hochmittelalterlichen Westeuropa. Auch strukturelle Gemeinsamkeiten kommen bei der zeitverschobenen Parallele zum Tragen: Hier wie dort ähnliche gesellschaftliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen förderten die Entfaltung der Praxis.

Für wirtschaftsgeschichtliche, kulturgeschichtliche und prosopographische Fragestellungen ist die reiche Quellenüberlieferung an Stiftungsurkunden, Stiftungsbüchern und paraliturgischen Namenlisten zum Totengedenken im Moskauer Russland schon früher häufig herangezogen worden. Doch erst Forschungen der letzten beiden Jahrzehnte haben gezeigt, wie differenziert das Totengedenken organisiert war und mit welch umfangreicher pragmatischer Schriftlichkeit es verbunden war. Zwischen Stiftungsleistung und Umfang der Kommemoration bestand ein regelhafter Zusammenhang. 

Zur Einführung vgl. Ludwig Steindorff: Donations and Commemorations in the Muscovite Realm – a Medieval or Early Modern Phenomenon?, in: Religion und Integration im Moskauer Russland. Konzepte und Praktiken, Potentiale und Grenzen. 14.-17. Jahrhundert, Hrsg. und Einleitung: Ludwig SteindorffWiesbaden 2010 (=Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 76), S. 477-498.

Um die Thematik der deutschsprachigen Forschung noch zugänglicher zu machen, werden hier einige Schlüsseltexte erstmals in ausführlich kommentierter deutscher Übersetzung vorgelegt. Sie alle stammen aus dem Umfeld des Iosif-Klosters bei Volokolamsk (ca. 120 km westlich von Moskau), das 1479 gegründet wurde und in der Organisation des Totengedenkens wie auch der Entwicklung der damit verbundenen Schriftlichkeit eine Vorreiterrolle einnahm.

Unter folgendem Link finden sich folgende Quellenauszüge zum "Stiftungswesen und Totengedenken".

  • Der Brief des Klostergründers Iosif an die Fürstin Marija Golenina von 1508-13
  • Der Eintrag im ältesten Stiftungsverzeichnis über die Stiftung von Fürst Andrej Andreević Golenin an das Iosif-Kloster von 1508-15
  • Auszüge aus dem Paterikon, dem „Väterbuch“, des Iosif-Klosters von ca. 1547, darunter die Erzählung über die Fürstin Marija Golenina
  • Die Stiftung des Leontij Devjatoj Rževskij von 1561/62 als Beispiel einer „Standardurkunde“
  • Das Testament des Fedor Borisovič Borozdin von 1554/55
  • „Über das Totengedenken“ – Kapitel 5 aus den "Klostergewohnheiten" von 1581/82.

 
Übersetzungen und Kommentare entstanden im Rahmen von Altrussisch-Lektürekursen in den Sommersemestern 2009 und 2010.