Promotionsprojekt
Konstantinopel 1453 – Eroberung oder Fall? Geschichtskonstruktionen in den Hauptwerken der spätbyzantinischen Historiographie
betreut von Prof. Dr. Andreas Bihrer und Prof. Dr. Michael Grünbart
Das Dissertationsprojekt befasst sich mit der Literarisierung der Einnahme Konstantinopels 1453 in den vier Hauptwerken der spätbyzantinischen Historiographie. Dabei richtet sich das grundsätzliche Erkenntnisinteresse der Arbeit an ein Grundproblem der Geschichtswissenschaft, nämlich das der Wahrnehmbarkeit und Darstellbarkeit historischer Wirklichkeiten. Da die ausgewählten Autoren allesamt Zeitzeugen, wenn nicht gar Augenzeugen des Geschehens waren, wählt das Projekt einen deutlich akteursorientierten Zugriff. Die Autoren und ihre Texte, die von der osmanischen Einnahme Konstantinopels berichten, werden so zunächst in ihrem sozial- und strukturgeschichtlichen Kontext verortet.
Da gerade die Ereignisse von 1453 selbst als „Schockmoment“ in Europa begriffen wurden, sind die diesbezüglichen literarische Tätigkeiten als zerstörerischer und produktiv-kreativer Akt zugleich zu verstehen – so erfüllte sich in der Einnahme Konstantinopels immerhin eine der Prophezeiungen der Geschichte überhaupt: Dieses Ereignis wurde als Ende der Herrschaftsfortsetzung des Römischen Reiches im Sinne der translatio imperii gewertet. Aus diesem Grund wirkte das Geschehen sowohl auf den lateinisch- als auch griechischsprachigen Raum so verstörend und tiefgreifend.
In dem gewählten Quellenkorpus werden u.a. jene christlich-traditionellen Wahrnehmungs- und Deutungsschemata gedeutet oder in Absage daran umgedeutet und mit neuem Sinn versehen. Vor dem Hintergrund der gegebenen Strukturen – das betrifft sowohl den sozialen Kontext des Autors als auch den historischen Kontext insgesamt – geht es um die unmittelbar auf das Geschehen folgende literarische Verarbeitung, Interpretation und Sinnstiftung der Einnahme Konstantinopels in den vier spätbyzantinischen Geschichtswerken.
Dazu wird derzeit eine Synthese drei verschiedener Schwerpunkte angestrebt: die narrativen Strategien zur Schilderung des militärischen Hergangs im Allgemeinen, die Inszenierung des osmanischen Sultans in Auseinandersetzung mit bereits bestehenden oder neuen Feindbildern, die auf die Osmanen übertragen wurden, sowie die literarische Inszenierung des Todes vom letzten byzantinischen Kaiser Konstantin XI. Aus einem intertextuellen Vergleich der Werke und dem Zusammenspiel der o.g. Teilaspekte soll so ein differenziertes Bild der Wahrnehmung, Deutung und Interpretation der Einnahme Konstantinopels in den vier Hauptquellen der byzantinischen, griechisch-sprachigen Sicht entstehen, denen in der aktuellen Forschung bisher noch keine umfangreichere Beachtung zuteilgeworden ist.