Laufende Promotions- und Habilitationsprojekte

Dissertationen und Habilitationen

Erik Kömpe: Die Praxis der beruflichen Rehabilitation behinderter Jugendlicher und Erwachsener in der Bundesrepublik Deutschland (1969-1990)
Dissertationsprojekt, gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft - DFG

Das Projekt befasst sich mit der Berufsausbildung von Jugendlichen mit Behinderung in Berufsbildungswerken (BBW) und dem dualen System in Betrieben sowie der Weiterbildung und Umschulung von Erwachsenen mit Behinderung in Berufsförderungswerken (BFW) in der Bundesrepublik Deutschland. Die BBWs und BFWs wurden im Verlauf der 70er Jahre immer relevanter, da Expert*innen am Übergang von den 60er zu den 70er Jahren der Meinung waren, die Ausübung einer Erwerbsarbeit sei der Schlüssel zur gesellschaftlichen Integration von Menschen mit Behinderung.

Bisher wurde die berufliche Rehabilitation primär als ein Teil der Sozialpolitik untersucht, wobei politische Akteure und deren Handlungsmacht im Zentrum standen. Im Anschluss daran legt dieses Forschungsvorhaben sein Hauptaugenmerk auf die Praxis innerhalb der Einrichtungen und erforscht den Alltag während der Maßnahmen. Die Rehabilitand*innen mit Behinderung sollen in diesem Kontext nicht nur als passive Teilnehmer*innen der Maßnahmen, sondern als handelnde Individuen mit eigenen Wünschen und einer eigenen Gestaltungsmacht verstanden werden. Inwiefern welche Gruppe von Menschen mit Behinderung Einfluss auf die Rehabilitationspraxis hatte, soll mithilfe einer intersektionalen Analyse anhand der Kategorien gender, class, Alter sowie der Art und Ursache der Behinderung untersucht werden. Neben eben jenen Aushandlungsprozessen zwischen Menschen mit Behinderung und den Einrichtungsleitungen beziehungsweise den Trägern der Einrichtungen, spielen auch Aushandlungsprozesse zwischen verschiedenen Gruppen von behinderten Menschen eine Rolle. Diese zeigen sich beispielsweise bei der Konkurrenz um sichere Arbeitsplätze. Inwiefern diese Aushandlungsprozesse sich über den untersuchten Zeitraum wandelten, soll vor dem Hintergrund von Aufmerksamkeitskonjunkturen, sich verändernder Vorstellungen von Behinderung und des strukturellen Wandels der Arbeitswelt analysiert werden.
 

Carolin Liebisch-Gümüş: History in Limbo. Flughafentransitzonen zwischen globaler Mobilität und lokaler Ordnung, 1945-2000 (Habilitationsprojekt)

Das Projekt erforscht die Entstehung und Bedeutung von Flughafentransitzonen seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Bedingt durch den wachsenden internationalen Luftverkehr jener Zeit bildeten sich aus den Wartebereichen vor den Flugsteigen zunehmend komplexe Raumstrukturen. Sie halfen, Mobilität an der Grenze zwischen Staat und Welt zu organisieren, zu gestalten und zu kontrollieren. Entscheidend dafür war die territoriale Ambiguität, durch welche sich die Transitzone vom umgebenden Terminal absonderte und unterschied: Der Transitbereich entwickelte sich einerseits zu einer internationalisierten Grauzone jenseits der Grenzkontrollen, andererseits blieb er staatliches Hoheitsgebiet, nützte gar explizit institutioneller Gestaltungsmacht. Erforscht wird, welche Akteure und Interessen – lokal, national und international – für die Ausgestaltung von Transitzonen maßgeblich waren. Das Projekt fragt nach der Rolle territorialer Ambiguität – nicht nur für die staatliche Nutzbarmachung von Transitzonen, sondern auch für internationale Organisationen wie die WHO oder die Internationale Zivilluftfahrtorganisation sowie für private Akteure, Beschäftigte und Reisende – in unterschiedlichen Themenfeldern wie Hygiene, Duty-Free-Konsum, Sicherheit, Migration, Reiseerleben und Wartekultur. Der Transitbereich dient als Untersuchungsraum für eine globale Mikrogeschichte von Flugmobilität und ihrer Kontrolle. Dabei wird er nicht als feststehender Raum verstanden, sondern als mehrdeutiges, wandelbares Ergebnis von Aushandlungsprozessen im Spannungsfeld von grenzüberschreitender Mobilität, liberalem Internationalismus und territorialer Ordnung. Das Projekt sieht vor, Transitzonen in unterschiedlichen Weltregionen vergleichend zu untersuchen. Auf diese Weise werden globale Einflussfaktoren ebenso sichtbar wie deren Wechselwirkung mit regional spezifischen Entwicklungen. Besonderes Augenmerk gilt der lokalen Einbettung der Transitzone und damit den Interaktionen zwischen den Akteuren, die den Raum vor Ort prägten – wie Polizei, Zollbeamte, Ladengeschäfte und Flughafengesellschaften – und den Reisenden, die ihn durchquerten. Dieses Vorgehen verspricht neue Einsichten in die kleinräumlichen Strukturen und lokalen Eigendynamiken, durch die übergeordnete Mobilitätspolitiken vor Ort umgesetzt und erlebt wurden.
 

Britta-Marie Schenk: Ohne Obdach. Eine Geschichte der Obdachlosigkeit und der Obdachlosen im 19. und 20. Jahrhundert (Habilitationsprojekt)

Mit Obdachlosigkeit steht ein ubiquitäres Phänomen der Moderne im Mittelpunkt des Habilitationsprojekts. Es untersucht die Wechselwirkungen zwischen der Praxis der Obdachlosenfürsorge und dem Alltag der Obdachlosen während des 19. und 20. Jahrhunderts. Damit zielt das Vorhaben auf eine Geschichte sozialer Ungleichheit, die sowohl die Perspektive des Staates und privater Wohltätigkeit als auch die Obdachlosen selber einbezieht. Im Gegensatz zu bisherigen Studien, die entweder auf die kommunale bzw. staatliche Armenfürsorge oder auf die Aktivitäten einzelner Wohltätigkeitsorganisationen abzielen, wird das gesamte „System“ Obdachlosigkeit analysiert. Dies verspricht neue Erkenntnisse darüber, welchen Platz Obdachlose von einer Gesellschaft zugesprochen bekamen und wie die Betroffenen damit selber umgingen. Zudem wird Obdachlosigkeit nicht allein als Armutsphänomen betrachtet, vielmehr werden politische und infrastrukturelle Ursachen ebenso einbezogen wie das Phänomen, dass Obdachlosigkeit auch ein selbstgewähltes, freiwilliges Lebensmodell oder ein Lebensabschnitt sein kann. Dieser Ansatz wird an zwei Großstädten, zwei Städten mittlerer Größe und zwei ländlichen Regionen verfolgt. Damit wird Obdachlosigkeit als übergreifendem Phänomen Rechnung getragen, das nicht allein auf den urbanen Raum beschränkt ist. Gleichzeitig bietet der Dreiräume-Vergleich in einer Langzeitperspektive die Chance, Stadt-Land-Eigenlogiken und regionale Spezifika sowie Gemeinsamkeiten und Konvergenzen gleichermaßen erfassen zu können.