Globale Forschung und imperiale Macht: Das botanische Kommunikationsnetzwerk Nathaniel Wallichs (1786-1854)

Im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft seit 2015 geförderten dreijährigen Projektes erarbeitet der Kieler Lehrstuhl für die Geschichte Nordeuropas die Biographie des dänischen Botanikers Nathaniel Wallich und rekonstruiert sein globales Kommunikationsnetzwerk.

Nathaniel Wallich

Der aus einer jüdisch-norddeutschen Familie stammende Wallich ging nach dem Medizinstudium in Kopenhagen als Kompaniearzt in die kleine dänische Kolonie Serampore in Indien. Nur wenige Monate nach Ankunft wurde die Besitzung in die Napoleonischen Kriege hineingezogen und von britischen Truppen besetzt. Unversehens fand sich Wallich navch kurzer Kriegsgefangenschaft in Kalkutta wieder, wo sich allerdings rasch seine tiefen Kenntnisse nicht nur in der Medizin, sondern vor allem in der Botanik herumsprachen. Sofort nach Kriegsende begann seine Karriere, die ihn innerhalb kürzester Zeit in das Amt des Direktors des Botanischen Gartens von Kalkutta führte.

 Roxburgh-Haus, Botanischer Garten von Shipur, Kalkutta

Roxburgh-Haus, Botanischer Garten von Shibpur, Kalkutta, (Foto: Martin Krieger)

Von hier aus unternahm Wallich Forschungsreisen in das damals so gut wie unbekannte Nepal, nach Singapur sowie nach Assam, wo er den wissenschaftlichen Grundstein für den späteren Teeanbau legte. Von seiner Forschungstätigkeit, seinem Organisationstalent und seinem weltweiten akademischen Netzwerk zeugen etwa 3.000 Briefe, die auch heute noch zu den Schätzen in der Bibliothek des Botanischen Gartens von Kolkata zählen. Neben einschlägigen Akten in London und Kopenhagen bildet vor allem diese Korrespondenz den Grundstein für die Erforschung von Wallichs Biographie im Kontext seines Kommunikationsnetzwerks und seiner Forschungstätigkeit.

Aus der Auswertung der umfangreichen Korrespondenz lassen sich nicht allein Rückschlüsse über Dauer, geographische Verteilung und Intensität der Beziehungen zu den unterschiedlichen Kommunikationspartnern, wie beispielsweise dem britischen Gesandten Edward Gardner in Kathmandu, dem baptistischen Missionar William Carey in Serampore oder zu den Botanikern Nees von Esenbeck in Breslau und von Martius in München, ziehen.

Briefe von Edward Gardner aus Nepal an Wallich (Anzahl pro Jahr)

Briefe von Edward Gardner aus Nepal an Wallich (Anzahl pro Jahr)

Vielmehr sind auch qualitativ-inhaltliche Aussagen über individuelle Karrierestrategien und Patronagestrukturen möglich - über die Relevanz konfessioneller und nationaler Identitäten im multireligiösen und multinationalen nordindischen Umfeld genauso wie über die Institutionalisierung der Forschung in den botanischen Gärten von Kalkutta, Saharanpur und Singapur, an deren Entwicklung Wallich maßgeblich beteiligt war. Nicht zuletzt sind praktische Fragen von Bedeutung: Wie liefen Kommunikation und Pflanzenaustausch konkret ab? Welche Probleme gab es bei der Verschiffung? Welche Rolle spielte der Transfer von Pflanzen, Herbarmaterial und Samen für die Etablierung und Pflege des Netzwerkes? Um welche Pflanzen ging es konkret, woher stammten sie und wer sammelte bzw. tauschte sie? Wichtig ist zudem die Frage nach der Funktion einheimischer Sammler, deren Professionalisierung und den zugrundeliegenden Sammelprinzipien und -instruktionen. Mit der Teeproduktion und der Suche nach Nutzhölzern stellt sich wiederum die Frage nach ökonomischen Interessen und der Einbindung in wirtschaftspolitische Netzwerke außerhalb rein wissenschaftlicher Neugier im Sinne eines "Green Imperialism".

Das Projekt ist Bestandteil eines Forschungsschwerpunktes des Lehrstuhls für die Geschichte Nordeuropas, der sich mit den dänischen Kolonien in Ostindien und insbesondere Serampore auseinandersetzt. Dieser ist interdisziplinär ausgelegt und arbeitet eng mit internationalen Kooperationspartnern zusammen. So bestehen Kontakte zum Central National Herbarium in Kolkata, zu den Botanischen Gärten in Kew und Edinburgh, zum dänischen Naturkundemuseum und zum Nationalmuseum in Kopenhagen. Eine enge Zusammenarbeit hinsichtlich der digital humanities besteht zudem mit der Universitätsbibliothek Kiel und dort  insbesondere mit dem Fachinformationsdienst Nordeuropa.

 

Projektbezogene Publikationen

Martin Krieger, Dänische Diaspora in Bengalen: Das "Asiatick Museum" und die Suche nach dem alten Indien, in: Carsten Binder, Henning Börm und Andreas Luther (Hgg.), Diwan. Untersuchungen zu Geschichte und Kultur des Nahen Ostens und des östlichen Mittelmeerraumes im Altertum, Duisburg 2016, S. 723-736.

Martin Krieger: Nathaniel Wallichs karriere i Serampore og Calcutta 1808-1815, Personalhistorisk Tidsskrift 2014 (Dansk-norske skæbner før og efter 1814), S. 69-86.

Ders.: From Surgeon to Botanist. The Career of Nathaniel Wallich (1786-1854), in: NELUMBO (Hg. Botanical Survey of India) 55/2013, S. 22-34.

Ders.: Nathaniel Wallich. Ein gesamtstaatliches Gelehrtenleben zwischen Kopenhagen und Ostindien, Mitteilungen der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte 82/April 2012, S. 3-18.

Ders.: Die Ursprünge des Teeanbaus in Assam, in: Bernd Herrmann (Hg.): Beiträge zum Umwelthistorischen Kolloquium 2009-2010, Göttingen 2010, S. 157-171.

 

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Martin Krieger (krieger@email.uni-kiel.de)

Tobias Delfs, M.A. (tobias.delfs@email.uni-kiel.de)

Imke Hamann-Bock, M.A. (hamann-bock@email-uni-kiel.de)