Forschungsprojekte

Habilitationsprojekt
Leopardenmänner, Krokodilsmenschen, Affenmenschen - Tier-Mensch-Verwandlung vor kolonialen Gerichten Afrikas (1880–1950)

Bearbeiterin: Dr. Stephanie Zehnle
Leiterin: Dr. Stephanie Zehnle 
Laufzeit: seit 2016

Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert verdichteten sich in vielen Kolonien Afrikas Gerüchte über so genannte „Leopardenmänner“, „Krokodilsmenschen“ und „Affenmenschen“. Mitglieder von kriminellen Geheimgesellschaften hätten sich als Tiere verkleidet oder sich in solche verwandelt und ihre Opfer für rituelle Handlungen getötet oder sogar verspeist. Zahlreiche Regionen Afrikas südlich der Sahara waren betroffen, von Sierra Leone und Liberia über Nigeria, Gabun und die Kongo-Region bis nach Tanganjika. Angst und Panik waren die Folge und schwere Strafen wurden eingefordert. Allein in der britischen Kolonie Sierra Leone wurden dutzende Beschuldigte vor afrikanischen und kolonialen Gerichten verurteilt und öffentlichkeitswirksam hingerichtet, während hunderte aufgrund mangelnder Beweislage in andere Kolonien deportiert wurden. Gleichzeitig wurden in Form intensiver Jagd und Barrikaden auch Maßnahmen gegen bestimmte Tierarten ergriffen.

Das geplante Habilitationsprojekt beschäftigt sich mit den kolonialen Debatten, Gerichtsprozessen und den sie begleitenden Rechtspraktiken, in denen es zwischen etwa 1880 und 1950 in vielen Regionen Afrikas um mehr ging, als die auf den ersten Blick exotisch anmutenden Auseinandersetzungen um die Tier-Mensch-Hybride von nur anekdotischem Interesse. Im Verlauf der polizeilichen Ermittlungen und Gerichtsverhandlungen kulminierten wesentliche und bislang noch nicht hinreichend erforschte Konflikte kolonialisierter Gesellschaften: Erwartungen an eine gerechte Justiz trafen hier ebenso aufeinander wie konkurrierende Definitionen von „Mensch“, „Tier“, „natürlichem Tod“ und legitimer Gewalt. Auch wurden durch die Gerichtsverhandlungen regionale Machtverhältnisse neu geordnet – wer etwa zuvor unbedeutender Missionsschüler war, konnte nun als eingesetzter Gerichtsübersetzer die Urteilssprüche der Richter entscheidend beeinflussen oder gar bestimmen. Das Projekt ermöglicht also zugleich die Untersuchung sprachlicher und kultureller Übersetzungsschwierigkeiten, die zu gewaltsamen Eskalationen führen konnten. Das Phänomen der „Tier-Mensch-Morde“ bringt somit koloniale Ängste und Gerüchte, juristisch dokumentierte Verbrechensbekämpfung und lokalen Widerstand gegen die Bedrohung der politisch-sozialen Ordnung zusammen.

Um unter Bezugnahme auf lokale Prozesse solche Zusammenhänge möglichst detailliert herausarbeiten zu können, wurden als westafrikanische Untersuchungsregionen zunächst das de jure unabhängige Liberia und die britische Kolonie (bzw. Protektorat) Sierra Leone ausgewählt. Neben der Dokumentation juristischer und staatlich-administrativer Vorgänge lassen hier auch zoologische und ethnographische Expeditionsberichte, Missionsarchivalien sowie Zeitungsartikel eine multiperspektivische Analyse des Diskurses zu. Darüber hinaus kann der Vergleich mit anderen Regionen klären, ob diese Dynamiken – vom Gerücht zum Gericht – an sich ein koloniales Phänomen waren, sich in dieser historischen Phase lediglich ein bestimmtes framing von unterschiedlichen Naturereignissen, -deutungen und Todesfällen etablierte oder jeweils spezifische juristische Charakteristika verschiedener Kolonialreiche den Diskurs bestimmten.

Postdoc-Projekt
Leopardenmänner. Ein translokales Gewaltphänomen in der kolonialen Phase Afrikas (Sierra Leone/Liberia 1880-1950) (DFG)

Bearbeiterin: Dr. Stephanie Zehnle 
Leiter: Prof. Dr. Winfried Speitkamp
Drittmittelgeber: DFG im Rahmen der Forschergruppe „Gewaltgemeinschaften“  
Laufzeit: 2014–2016

Als „Leopardenmänner“ werden Gemeinschaften bezeichnet, die in Afrika im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für Gewalttaten, vor allem Morde, verantwortlich gemacht wurden und am Tatort Spuren von Leoparden zurückgelassen haben sollen. Viele Regionen Afrikas südlich der Sahara waren betroffen, von Liberia und Sierra Leone über Nigeria und die Kongo-Region bis nach Tanganyika. Angst und Panik waren die Folge, Verdächtige wurden öffentlichkeitswirksam hingerichtet. Um die Leopardenmänner entwickelten sich Gerüchte und mythische Erzählungen. Diese standen in Wechselwirkung mit den Ereignissen, verselbständigten sich aber als Narrative in europäischen Romanen und Filmen. Dort wurden die Leopardenmänner zum Klischee des wilden afrikanischen Kannibalen schlechthin. Gewaltgemeinschaften ließen sich hier auf mehreren Ebenen parallel ausmachen, in realer und virtueller Gestalt, in synchroner und diachroner Perspektive.

Die genauen Hintergründe des Phänomens waren unklar. Über Initiierung und Ablauf der Gewalttaten, über Ordnung, Zusammenhalt und Rituale der Geheimgesellschaften wusste man wenig. Auch für das gleichzeitige Auftreten in einem breiten Gürtel Afrikas gab es noch keine schlüssige Erklärung. Hier setzte das Teilprojekt an. Es untersuchte, ausgehend von einer Fallstudie zu Sierra Leone und Liberia, die Leopardenmänner als Gewaltgemeinschaften. Handelte es sich um substaatliche Justiz, eine religiöse Bewegung, Kriminelle, Auftragsmörder oder antikolonialen Widerstand? Im Blick auf andere Regionen und die Mythenbildung in Afrika und Europa wurde auch nach Vernetzungen und Wechselwirkungen gefragt. Translokalität, Kommunikation und Mobilität spielten in dem Projekt also eine zentrale Rolle. Da das Schüren von kollektiven Ängsten zu gewaltsamem Vorgehen bestimmter Gruppen gegen tatsächliche, semifiktive oder völlig imaginierte Gemeinschaften führen kann, schenkte das Projekt besonders der Emotionalisierung durch Gerüchte Aufmerksamkeit.

Dissertationsprojekt

Forschungsprojekt: Soziales Handeln an der frontier. Macht, Krieg und Religion im vorkolonialen Westafrika (gefördert von der Gerda Henkel Stiftung).

Arbeitsvorhaben: Krieg, Religion und Herrschaft zwischen unterem Niger und Tschadsee. Hausa/Sokoto vom späten 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts.

Das Promotionsvorhaben behandelt soziales Handeln in einer westafrikanischen Kontakt- und frontier-Zone. Es geht um die Entstehung und Etablierung Sokotos vom späten 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Zentrum im heutigen Nordnigeria. Es handelte sich um eine frontier-Situation, die durch gewaltsame Intervention (Djihad-Bewegung) geprägt war; es bestimmten also Kriege und Unruhen den Rahmen. Dabei kollidierten die beteiligten Gruppen auf unterschiedlichen Identifikationsebenen: beruflich (Bauern, Händler, Gelehrte), ethnisch (Fulbe, Hausa, Tuareg), sprachlich (Schriftsprache Arabisch, zumeist oral verwendete lokale Sprachen), räumlich (Handelsstädte, ländliche Peripherie) und religiös (verschiedene lokal Religionen, islamische Bewegungen und Gemeinschaften). Untersucht wird, wie zwischen Kollision und Verschmelzung neue kulturelle Formen entstanden. Es geht darum, wer diese Formen wie aushandelte, welche Konfliktmodi vorherrschten und welche Rolle Elitenbildung dabei spielte.