František Doležal: Das Thema in der neuen Fotografie

(Auszüge aus dem Buch Thema v nové fotografii, Praha 1952)

 

Das sozialistische Verständnis des Themas

Egal welchen Interessen die Fotografie dient und welche Ziele sie verfolgt, sie muss sich stets an der realen Wirklichkeit orientieren, an konkreten Erscheinungen, die man auf dem fotografischen Wege ausdrücken kann. Die real, materiell, mithilfe des fotografischen Prozesses zu erfassende Wirklichkeit ist die einzige lebendige Quelle fotografischer Stoffe, die einzige Quelle, aus der die Fotografie schöpferische Eindrücke erhalten kann.

Wenn wir sagen, dass die reale Wirklichkeit die einzige Quelle für fotografische Stoffe ist, so bedeutet dies noch nicht, dass sie auch das Ziel des schöpferischen Abbildens sein muss. Aus der Erfahrung wissen wir, dass die für die fotografische Verarbeitung ausgewählte Wirklichkeit oder ihr Teil – das Motiv – den verschiedensten Zielen dienen können. Sie können ein Vorwand sein für das Einfangen vollkommen oberflächlicher Effekte oder ein Mittel zum absichtlichen Deformieren und Verfälschen der Wirklichkeit. Sie können so verarbeitet sein, dass das Ergebnis, die fotografische Aufnahme, gegen die Wirklichkeit gewandt ist, gegen ihren Charakter, gegen ihren natürlichen Sinn.

 

Diese Züge sind bezeichnend für die Verfallsära der bürgerlichen Fotografie. In ihrer Oberflächlichkeit, in ihrem negativen Verhältnis zur realen Wirklichkeit, in ihren Zerfallstendenzen, in ihrer Verspieltheit, in ihrer Dekadenz, Pessimismus und Ausweglosigkeit spiegelt sich der Zerfall der bourgeoisen Gesellschaft, die erschüttert ist in ihren Machtpositionen und in ihrer Entwicklung jegliche Perspektiven verliert. Ihr Desinteresse am Thema und an seiner realen Verarbeitung ist Ausdruck ihres steilen Abstiegs und unaufhaltsamen Verfalls.

 

Ein ganz anderes Verhältnis zur Wirklichkeit treffen wir bei der arbeitenden Bevölkerung und der Arbeiterklasse, die ihren revolutionären Kampf entwickelt und die Grundlagen einer neuen Gesellschaft baut, im optimistischen Glauben an ihre großartige Zukunft. Ihr zustimmendes und optimistisches Verhältnis zur Wirklichkeit, zu den Menschen, zu Gesellschaft und Natur, spiegelt sich vollständig in ihrem kulturellen Bemühen, in Theorie wie in Praxis.

Für die Kultur der sozialistischen und zum Sozialismus zielenden Gesellschaft ist die Wirklichkeit kein Vorwand für leere Effekte oder für formalistische Experimente, die reiner Selbstzweck wären, sondern der Gegenstand ernsthafter und zielbewusster schöpferischer Arbeit, die um ihren inhaltlichen, zutiefst ehrlichen, wahrhaftigen und künstlerisch wertvollen Ausdruck kämpft.

Wenn wir von der Abbildung der Wirklichkeit in der sozialistisch ausgerichteten Fotografie sprechen, so meinen wir nicht ihren vollständigen, unbegrenzten Inhalt. Wir stellen uns nicht vor, dass ein zufällig gewähltes, willkürlich verstandenes Thema ihr Gegenstand sein könnte.

Die Wirklichkeit im neuen sozialistischen Geist abzubilden, bedeutet über die Wahl des Motivs nachzudenken, sich über dessen gesellschaftliche Funktion Gedanken zu machen und aus der unbegrenzten Zahl von „sich anbietenden Möglichkeiten“ nur solche Gegenstände auszusuchen, in denen auf deutliche und ausdrucksvolle Weise die typischen Züge des neu entstehenden Lebens deutlich werden.

Diese Anforderungen bestimmen den Gegenstand des fotografischen Schaffens, und zugleich wird damit die Frage angesprochen, wie wir uns zur bürgerlichen Fotografie zu stellen haben und zur Fotografie privater Art (Familienfotografie, Erinnerungsfotografie, Freizeitfotografie etc.).

Den Gegenstand der Fotografie bildet unsere neue Wirklichkeit mit allem, was typisch ist für ihre fortschrittliche Entwicklung, auf den Sozialismus zielend. Diese typischen Züge finden wir vor allem in Menschen, in ihrem neuen, positiven und optimistischen Verhältnis zur Arbeit und zum Kollektiv, zu wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Fragen und zu den Aufgaben, die sich aus unserem gemeinsamen Bemühen um die Festigung des Friedens und des Aufbaus des Sozialismus ergeben. Neue Züge finden wir im politischen und gesellschaftlichen Leben, in der Erholung, in Leibeserziehung und Sport, in der Schule, im Theater, in der neu belebten Volkskunst, im Leben der Kinder, Jugend und Frauen, im neuen Familienleben, im neuen Aussehen der Dörfer wie der Städte usw.

Der Gegenstand der Fotografie, wie daraus ersichtlich, ist also sehr breit und nimmt einen so großen Kreis lebendiger und sich ewig entwickelnder Themen ein, dass es praktisch unmöglich ist, ihn irgendwann vollkommen auszuschöpfen. Im Spiegel dieser Breite verblassen und wirken kleinmütig all die opportunistischen Kümmernisse, Ausreden und Beschwerden, mit denen versucht wird, den fotografischen Arbeitern einzureden, die sozialistische Fotografie führe zu einer Verarmung des thematischen Registers.

Es ist wahr, dass diese Fotografie in ihrem Auftrag, eine öffentliche Aufgabe zu erfüllen, aus dem Kreis ihres Interesses solche Objekte ausschließt, die von engem persönlichem Charakter sind, und dass sie indifferente Stoffe meidet, die uns nichts zu sagen haben und somit der Gesellschaft in ihrer fortschrittlichen Entwicklung nicht nützlich sind. Dies aber bedeutet keine Verarmung und Ausbremsung der Fotografie. Ganz im Gegenteil: Mit dem Verlassen des stereotyp wiederholten Repertoires von Stoffen, mit dem Öffnen von Fenstern und dem Durchlüften von stickigen Ecken der Fotoklubs, Ateliers und Salons und indem wir die Fotografen zu den Menschen bringen, ins lebendige Geschehen, erhält die Fotografie neue Motivationen, neue Lust am Leben, neue Bedingungen für die weitere Entwicklung.

Dies sollten sich vor allem jene Arbeiter bewusst machen, die schwankend sind und in der sozialistischen Perspektive auf die Fotografie nicht gefestigt genug sind.  Sonst droht ihnen die Gefahr, dass sie wieder dorthin zurückkehren, wo sie begonnen haben – auf die alten, „bewährten“ und ausgefahrenen Gleise, auf denen sich die verfallende bürgerliche Fotografie bewegte.

Diese Gefahr die Stirn zu bieten, ist die Aufgabe jedes einzelnen Arbeiters. Die Frage ist ernst, und deshalb ist es notwendig, dass wir sie ernst nehmen. Es geht darum, allen ernsthaften Irrtümern vorzubeugen, damit die Fotografie in ihrem Lauf nicht auf ideelle Abwege  gerät. Das sicherste Mittel, mit dem dies vermieden werden kann und die sozialistische Orientierung gefestigt werden kann, ist eine sorgfältige Kenntnis der Grundlagen, auf denen sie aufgebaut ist.

In der Gruppe der Fragen, die uns zu diesen neuen Zielen führen, spielt das Thema eine wichtige Rolle. Deshalb ist es notwendig, es gründlich kennenzulernen, seine Bedeutung zu verstehen und es im Zusammenhang mit all den gründen zu sehen, die zu seiner Auswahl führen, zu seiner richtigen Bewertung und zum richtigen Ausdruck.

Viele Arbeiter begehen hier schwerwiegende Irrtümer. Sie unterschätzen die Bedeutung des Motivs und verstehen nicht seinen Zusammenhang mit seiner gesellschaftlichen Funktion, trennen es von seinem Inhalt, vom Leben, von den inneren Interessen. Sie begreifen es als einen äußeren Vorwand für die Aufnahme und begreifen nicht, dass die Aufnahme ein Ausdruck sein soll ihrer inneren Beziehung zur Wirklichkeit, zum sich neu formenden Leben.

Die Konsequenz draus ist, dass viele Aufnahmen nur registrieren, ein neues Thema nur notieren, aber nicht seinen ganzen Inhalt betonen, den Betrachter nicht mit der Wahrhaftigkeit seines Inhalts ergreifen und so nicht überzeugen.

Viele Aufnahmen weisen im Begreifen des neuen Motivs noch weitere ernsthafte Mängel auf. Es geschieht sehr oft, dass der fotografische Arbeiter ein tatsächliches tiefes und echtes Verhältnis zu unserer neuen Entwicklung des Lebens hat. Es fehlt ihm aber die Kenntnis der grundlegenden Probleme, die zu lösen sind, damit unsere Entwicklung auf dem schnellsten Wege zum Sozialismus führt. Es entgeht ihm der Sinn des Geschehens, und oft ist er nicht fachlich belehrt worden darüber, was er fotografiert. Seine Aufnahmen haben in Folge dessen sachliche Fehler, die zuweilen so gravierend sind, dass sich die ganze Arbeit als sinnlos erweist.

(…)

Bei der Auswahl des Stoffes ist es notwendig, über den Zweck der Aufnahme nachzudenken. Es ist notwendig, sich die Frage zu stellen, ob das gewählte Thema eine solche Bedeutung hat, dass es den Bedürfnissen des Lebens dient, dass es den Aufgaben dient, die uns unsere fortschrittliche Entwicklung stellt.

Nach einer solchen Erwägung des Motivs stellt sich für den Fotografen dann die Aufgabe, in dem Geschehen, das sich vor ihm abspielt, eine geeignete Situation zu finden, in der auf typische Weise der Sinn und die fortschrittlichen Züge des Lebens deutlich werden. Diese Situation muss man dann unter Beachtung der Aufnahme, ihrer Notwendigkeiten und Ziele erfassen.

(…)

Um den fotografischen Arbeitern zu ermöglichen, die grundlegenden Probleme zu erfassen, und um sie mit dem Gegenstand ihrer Arbeit bekanntzumachen, haben wir das thematische Feld in einige zusammenhängende Elemente aufgeteilt. Bei jedem versuchen wir, seine ideelle politische Bedeutung hervorzuheben, die Lösung anzudeuten, sein Verständnis, und zugleich Fehler zu notieren, die von vielen fotografischen Arbeitern begangen werden.

(..)

Arbeiter, die sich in ihrer Arbeit und ihren Erinnerungen noch immer nicht ganz von der alten bürgerlichen, „amateurhaften“ Fotografie gelöst haben, werden hier so manchen Stoff vermissen, der zu ihrer damaligen, problematischen und unnützen Arbeit gehört hatte. Vor allem werden ihnen die Stoffe intimen und eng persönlichen Charakters fehlen. Obwohl es klar ist, dass die Volksrichtung unserer neuen Fotografie zu lebendigen Zielen führt und ganz andere Aufgaben hat als die damalige „Amateurfotografie“, ist diese Frage doch oft Teil der Diskussion.

Damit diese Sache eindeutig geklärt werden kann, muss man sich folgendes bewusst machen: Der Fotoapparat hat stets den Menschen gedient, dient heute und wird ihnen auch in Zukunft dienen, damit sie ihn für Aufnahmen persönlicher Art nutzen. Es wäre deshalb falsch und töricht, wollten wir die Menschen daran hindern. Genauso falsch aber wäre es auch, wenn wir Fotografen in dieser Richtung unterstützten.

 

Übersetzung: Martina Winkler