Promotionsprojekt
Eroberung einschreiben. Trauma und Diaspora nach der Eroberung Konstantinopels 1453
betreut von Prof. Dr. Andreas Bihrer und Prof. Dr. Michael Grünbart
„Mourning nevers ends“ – hierauf hat Vamık Volkan namentlich anhand der osmanischen Eroberung Konstantinopels 1453 mehrfach hingewiesen (Volkan 2011, 102). So teilen die Mitglieder einer sozialen Gruppe ihm zufolge zwar mentalen Repräsentationen eines traumatischen Ereignisses aus ihrer historischen Vergangenheit, können diese aber selbst nicht angemessen kommunizieren und verarbeiten. Daher übergeben sie diese, so Volkan weiter, an ihre Nachfolgegenerationen, „as if they will be able to mourn the loss or reverse the humiliation. [...] Over generations, such historical events, [...] [such] chosen traumas become more than a memory or shared piece of the past.“ (Volkan 2001, 87)
In der Tat ist die osmanische Einnahme Konstantinopels in der europäischen Erinnerungskultur ein umstrittenes Thema geblieben, die sich in einer Vielzahl von Rekursen, Reflexen und argumentativen Instrumentalisierungen in ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Diskursen (nicht nur) der modernen Nachfolgestaaten niederschlägt. Dieser Umstand lässt sich bereits an einer Vielzahl an zeitgenössischen Quellen ablesen, die ihrerseits von einem kollektiven Schock zeugen: Viele Autoren betonen, dass sie zunächst nicht in der Lage gewesen seien, angemessen über die jüngsten Ereignisse zu sprechen. Diese Befunde mögen auf den ersten Blick gut zu Volkans These passen, bezeugen hier doch Berichte aus gleichsam ‚erster Generation‘ ihre eigene Unfähigkeit, den Verlust von Menschen, Land oder Prestige zu betrauern. Die Äußerungen sind dadurch jedoch nicht als bloße topische Formen des (Nicht-)Erzählens abzutun: Auch wenn gerade Byzantiner*innen als unmittelbar Betroffene erhebliche Schwierigkeiten hatten, die Ereignisse in ihr etabliertes Weltbild einzuordnen, manifestierte sich die Eroberung der Stadt doch nicht zuletzt in dem expliziten Bedürfnis, das Geschehene nachzuvollziehen und angemessen wiederzugeben. Dazu gehörte auch die Auseinandersetzung mit Erfahrungen von Verlust, Verzweiflung, Verwirrung, körperlichem und seelischem Schmerz, kurz: mit dem Trauma der osmanischen Eroberung. Wie lässt sich aber historischer Perspektive über Ereignisse sprechen, die in der Tat als ‚traumatisch‘ bezeichnet werden können? Und wie lassen sich solch komplexe Erzählanliegen mit einem prozessualen Verständnis von Geschichtsschreibung in Einklang bringen?
Ausgehend davon fragt das Promotionsprojekt danach, wie in „Moment[en] der weitgehenden Desorientierung“ (Jussen 2005, 25) wie nach der osmanischen Eroberung Konstantinopels mit der Gemengelage aus Orientierungslosigkeit und produktivem ‚Vakuum‘, Vergessen und Verdrängen sowie Erinnern und Verarbeiten umgegangen wurde. Welche Strategien wurden konkret entwickelt, um die durch den Herrschaftswechsel bedingte Umbruchssituation mit Sinn zu versehen? In welcher Form fanden etablierte Erzählmuster Anwendung und welche Aussagegehalte konnten diesen in ihren neuen Kontexten beigemessen werden? Inwiefern lassen sich schließlich die so generierten Narrative als Diskurs verstehen, der die doppelte Konfliktlage aus erfahrener Fremdherrschaft einerseits und drohendem Weltende andererseits produktiv zu bewältigen gedachte?