Deutsche Waisenkinder im östlichen Europa nach dem Zweiten Weltkrieg

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Forschungsprojekt von Teresa Willenborg

 

Infolge der Kriegs- und Nachkriegsereignisse galten 1947 ca. 200.000 deutsche Kinder als vermisst.
In Polen lebten zu dieser Zeit ca. 57.000 elternlose deutsche Kinder, die in den staatlichen Betreuungs- und Erziehungseinrichtungen, kirchlichen Anstalten oder in Pflege- und Adoptivfamilien untergebracht waren. Viele elternlose Kinder, deren Identität unklar war, erhielten einen neuen Namen.
Das anvisierte Projekt fokussiert die Sozialfürsorge für elternlose und bedürftige deutsche Kinder in Polen zwischen 1945-1950.
Das Nachkriegsmodell der Sozialfürsorge war einerseits von Bestrebungen des polnischen Staates zur Einführung einer autoritären/paternalistischen Fürsorgepolitik und anderseits von miteinander konkurrierenden politischen und pädagogischen Erziehungsdiskursen und -praktiken geprägt. Politische, wissenschaftliche und administrative Aspekte werden miteinander in Beziehung gesetzt, um das Geflecht von Grundpositionen, Rollen, Tätigkeitsfeldern, Kompetenzen und Handlungsspielräumen der staatlichen und nichtstaatlichen Akteure – Kirche, gemeinnützige Verbände und Pflegefamilie – im Bereich der Sozialfürsorge zu untersuchen.
Der Fokus liegt auf Fragen nach dem Umgang mit elternlosen deutschen Kindern, deren Wohlergehen sowohl von Erfahrungen und Folgen des Krieges, als auch von der sich konstituierenden sozialistischen Gesellschaftsordnung bestimmt war. Darüber hinaus wird die Position deutscher elternloser Kinder in der Rangordnung des institutionalisierten Fürsorgesystems der Volksrepublik Polen dargestellt.
Zu den wesentlichen Bestandteilen des Fürsorgekonzeptes gehörten im sozialistischen Polen Erziehung und Bildung der elternlosen Kinder. Das Augenmerk der geplanten Studie richtet sich hier auf Fragen nach Traditionslinien und -konitinuitäten, pädagogische Autoritäten und Vorbilder sowie Ziele pädagogischer Erziehungs- und Bildungskonzepte.


In den Blick genommen werden die nationalen (polnischen) Interessen und sowjetische Erziehungsmuster und -praktiken. Diese duale Darstellung von Planung und Konzeptualisierung bildungspolitsicher Maßnahmen ermöglicht es, die Diversität von Erziehungsvorgaben und
-strategien sowohl in den staatlichen elitären „Institutionen neuen Typs“ – die als „soziales Laboratorium“ fungierten, als auch in den nichtstaatlichen Pflege- und Erziehungseinrichtungen aufzuzeigen und nach den Auswirkungen der Maßnahmen auf die Betroffenen – deutsche Kinder - selbst zu fragen.
Das Vorhaben untersucht darüber hinaus in vergleichender Perspektive die Fürsorge für elternlose deutsche Kinder im Nachkriegsrumänien. Aufgrund der anders gelagerten politischen Situation vor und nach dem Zweiten Weltkrieg stellt Rumänien einen Kontrastfall dar, der sich für komparatistische Ansätze eignet. Der Fokus liegt auf der Waisenfürsorge elternloser, bedürftiger deutscher Kinder, die im institutionalisierten und pflegefamiliären Kontext erfolgte.
Durch den multisektoralen Zugriff (Fürsorge- und Sozialpolitik, Rechtsvorschriften, Bildung und Erziehung, Kirche, Vereine und Gesellschaft) werden Parallele und Unterschiede in den jeweiligen Fürsorge- und Erziehungskonzepten Polens und Rumäniens herausgearbeitet.
Die erhobenen Befunde lassen sich in Forschungskontexte zur Nachkriegskindheit, zur social welfare in den realsozialistischen Gesellschaften Europas einordnen und bringen neue Erkenntnisse über die dort betriebene Sozialfürsorge für (deutsche)Waisenkinder.